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Rosmarie Lukassers skulpturale Serie ist betitelt mit Annäherungen an „...bin im Netz“. Die fünf aus Gips modellierten Figuren, entstanden zwischen 2009 und 2012, kreisen um die ontologische Frage nach der Verfasstheit des Menschen im digitalen Zeitalter.

Die rundansichtigen, anthropomorphen, jedoch geschlechtslosen Figuren – entsprechend ihrem Entstehungszeitpunkt mit #2 bis #6 gekennzeichnet – sitzen mit überkreuzten Beinen am Boden. In einer von Rodins Bürger von Calais ausgehenden skulpturalen Tradition befinden sie sich auf gleicher Ebene wie der Betrachter, werden so zu Bewohnern unserer Lebenswelt, die sich mit gekrümmter Körperhaltung einem auf ihrem Schoß ruhenden Laptop widmen, der nicht vorhanden ist. Jede der Figuren ist in sich gekehrt, scheint konzentriert auf das, was am imaginären Bildschirm passiert. Verbunden sind sie durch ein Netz von Stromkabeln, das sich ausgehend von einem Verteiler sternförmig ausbreitet und an jedem Ende eine Lichtquelle trägt, die die Figuren in fahles Licht hüllt. Auf einer Seite des Raumes leuchtet ab und an ein blaues Licht auf – ein Modem signalisiert seine Kontaktaufnahme mit den unendlichen Weiten des WWW.

Rosmarie Lukasser versteht sich als Bildhauerin. Ihre Praxis ist von häufigen Ausflügen in andere Medien begleitet, gleichwohl die tragende Rolle des Raums nie negiert wird. Es entstehen Fotografien, digital oder mit einer selbst gefertigten Camera Obscura aufgenommen, Bücher oder auch Performances. Prozessual-tastend nähert sich Lukasser den Eigenschaften eines Mediums, stets geleitet von der Suche nach der Überführung einer Idee in die geeignete Form unter Nutzbarmachung der ihr immanenten Sprache.

Die in sich gekehrten, gekrümmten Skulpturen sind um ein Gerüst aus Eisen und Maschendraht – bei den später entstandenen Figuren auch aus Schnüren – herum aus Gips modelliert. Die am frühesten entstandene Figur (#2) macht einen geschlossenen Eindruck, während die anderen Einblicke in ihr Gemacht-Sein liefern. Nähert man sich den Skulpturen, so fallen Akzentuierungen einiger Körperteile auf. Hände, Augen und Gesichter sind in Lukassers Annäherungen „Schnittstellen“: Die Hände, die Tastatur bedienend, stellen die haptische Verbindung zum Digitalen her; die Augen sehen das, was am Bildschirm vor sich geht; das Gesicht zeigt Regungen angesichts der Geschehnisse auf dem Bildschirm. Bewegung wird in den Figuren zu Konzentration: Verdichtung entsteht durch mimetisch genaue Ausformulierung der Hände und des Gesichts; die Oberflächen schließen sich, der Gips glättet sich. Während Körperregionen, die Bewegungs- und Konzentrationszentren bilden, eine detaillierte Ausformung erfahren haben, blieben solche, die kaum benutzt werden, in einem materiell rohen Zustand. Dieser „Rest“ des Körpers gewinnt in einer merkwürdigen Gegenbewegung jedoch an Organizität, wenn etwa am Rücken Schnüre als Muskelstränge in Erscheinung treten: als würden sie auf das In-der-Welt-Sein des leiblichen Menschen verweisen. Die offen sichtbaren Metallbestandteile der Figuren drängen jedoch nach einer weiteren Interpretation: Hat die „Mensch-Maschine-Metapher“ die Moderne begleitet, treten die Figuren im digitalen Zeitalter als ausformulierte „Benutzerschnittstellen“ in Erscheinung.

Das „Im-Netz-Sein“ wird bei Lukasser zu einem allgegenwärtigen Zustand in der digitalen Gesellschaft. In ihren Annäherungen geht sie der Frage nach, wo und wie wir sind, wenn wir „im Netz“ sind.

Ein am Laptop sitzender Mensch bildet mit diesem als gleichsam symbiotische Einheit einen „Raum im Raum“. Noch nie zuvor war das, was jemand tut, für andere so schwer zu ergründen – lediglich die Werkzeuge, die verwendet werden, sind stets die gleichen: Hand und Computer. Wird mit einem Freund gechattet, eine Theaterkarte gekauft, eine Kalkulationen in einer Excel-Tabelle durchgeführt...? Diese Funktionen liegen auf dem Bildschirm so nahe beieinander, dass sich die Notwendigkeit jeglicher Bewegung im Realraum erübrigt: Die Ortlosigkeit des virtuellen Raums ist von einer kaum voneinander zu unterscheidenden Nähe und Ferne gekennzeichnet.

Lukassers Annäherung an „...bin im Netz“ dauert bereits seit dem Jahr 2008 an. Betritt man ihr von Gipsstaub bedecktes, mit allerlei Werkzeug befülltes Atelier, so wird die Beschäftigung mit dem Thema augenscheinlich. Die Figuren konzentrieren sich auf ihre imaginären Laptops; das an den Wänden entlanglaufende Netz an Stromkabeln wird von einer einzigen Steckdose versorgt; an dieser hängt ein Verteiler, dessen Kippschalter die Stromversorgung für den gesamten Raum beenden könnte: die Versorgung mit der für das „im Netz-Sein“ notwendigen Elektrizität steht beständig „auf der Kippe“; über der Tür hängt die, von Lukasser so betitelte, „Netzzeitkarte“, uns bekannt als Karte, welche die Welt bei Nacht zeigt – eine Suggestion, da nie an allen Orten zur gleichen Zeit Nacht herrscht. Welche Teile der Welt sind mit Elektrizität versorgt und liefern daher die grundsätzliche Möglichkeit „im Netz“ zu sein?

So, wie die Freiheit des Zugangs zum Internet durch den geographischen Aufenthaltsort eines Menschen, unterschiedlich schnelle Leitungen und Zugangsgeräte beschränkt ist, ist jedoch auch die propagierte Freiheit im und durch das Netz eine eingeschränkte. Die Entwicklung des Internet, eng verknüpft mit dem Aufkommen der „Wissensgesellschaft“, verhieß freien Zugang zum Wissen für alle, unbeschränkte virtuelle Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit – für Menschen gleich welchen Geschlechts, welcher Ethnie und Bevölkerungsschicht. Gekennzeichnet ist das Internet heute von Ambivalenz: das Web 2.0 hat im Jahr 2011 als Katalysator der Revolutionen in Nordafrika gewirkt; das repressive China etwa beschränkt für seine Bürger den Zugang zu vielen Websites; Suchmaschinen und soziale Plattformen sammeln die von uns im Netz hinterlassenen Spuren, bis sich diese zu einem vollständigen Bild unserer Vorlieben, Freunde und Kaufkraft zusammensetzen. Das Bild eines „gläsernen Menschen“ entsteht, das gleichwohl kein Bild ist, sondern eine Ausprägung neuer biopolitischer Machtverhältnisse.

Gips, das von Rosmarie Lukasser in ihren Annäherungen verwendete Modelliermaterial, ist in der bildhauerischen Tradition ein Übergangsmedium, ein Material des „Dazwischen“. Auch die Skulpturen, in einem tastenden Prozess entstanden, sind eigentümliche Zwischenwesen – als „Benutzerschnittstellen“ befinden sie sich zwischen analoger und digitaler Welt. Sie sind da, aber nicht anwesend. Ihre Zwitteridentität als „gläserne Menschen“ stellen sie in VALIE EXPORTs Kubus Transparenter Raum zur Schau. Dieser Raum, als Ausstellungsraum konzipiert, befindet sich inmitten eines dichten städtischen Verkehrsnetzes: über ihm braust die U-Bahn hinweg, an seinen Seiten drängen sich Autos den Gürtel entlang. Wenn die transparenten Wände den Kubus zu seinem Umraum hin öffnen und gleichzeitig verschließen, erfahren die Kategorien öffentlich vs. privat hier eine neue Interpretation. Die fragile gläserne Haut des Kubus umgibt einen Un-Ort, der erst durch seine Nutzung zum räumlich erfahrbaren Ort wird. Rosmarie Lukasser verweigert uns jedoch den Zutritt: ihren Annäherungen an „...bin im Netz“ können wir uns nur von außen nähern. Womöglich so, wie sie sich als Bildhauerin mit analogen Werkzeugen der Erforschung des Digitalen nähert.

Beate Lex